News & Stories vom 03.07.1995

Das Gehirn, unser Zuhause, 2. Teil

Der Zusammenhang von Gehirn und Kultur
Jeder Mensch auf der Welt trägt lebenslänglich eine Kultur mit sich und jede dieser Kulturen, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, bewegt sich im Rahmen der Verfassung des menschlichen Gehirns. Der Mensch bedient sich des Gehirns, aber die Gehirne bedienen sich auch des Menschen. Die Strukturen des Hirns erzeugen die Kultur jederzeit neu. Das Gehirn funktioniert als "Sinngebungsmaschine". Es ist deshalb für Menschen fast unmöglich, vollständig unsinnige Reden zu erfinden. Eine große Rolle spielen die Eigenschaften der rechten und der linken Gehirnhälfte. Die rechte Gehirnhälfte ist dabei die Herrin der Metamorphosen und der großen Erzählungen. Sie entscheidet über hart und weich in der Kultur. Das Wort Kultur bedeutet im Lateinischen "heilen, pflegen". Das hat mit den 180 Begriffen von Kultur, mit denen die UNESCO umgeht, wenig zu tun. Es ist eine Grundeigenschaft der Menschen. Sie ist auch nicht nur gutherzig. Spannend ist in diesem Zusammenhang, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, dass im 20. Jahrhundert in der Prägung der menschlichen Psyche der Ödipus-Komplex immer mehr vom Perseus -Komplex abgelöst wird. Perseus ist ein Glückssucher, der der Medusa das Schlangenhaupt abschlägt und alle Welt täuscht, indem er das Grauenhafte selbst nur im Spiegel ansieht, während er seine Feinde durch direkten Anblick des Grauens tötet. Weder Vater noch Mutter, sondern nur der Großvater muss durch ihn sterben. Er gewinnt eine liebenswürdige Frau. Er hat viele Menschen getötet, aber immer vermieden, schuld daran zu sein. Ein Ödipus, der sich immer bedeckt hält. Dieser Held repräsentiert, sagt Prof. Dr. med. Detlef B. Linke, den Zusammenhang von Gehirn und Kultur besser als der archaische Ödipus. Er wird nicht blind, sondern arbeitet für die "virtuelle Realität".