News & Stories vom 11.03.1996

Japans schwarzes Schaf

Manfred Osten über den Literatur-Nobelpreisträger Kenzaburō Ōe
Manfred Osten, der Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, Japankenner und Autor, hat den Nobelpreisträger für Literatur Kenzaburō Ōe in dessen Haus besucht. Dieser ungewöhnliche, japanische Schriftsteller gilt in seinem Land als "schwarzes Schaf". Der Dichter betreibt rücksichtslose Aufrichtigkeit, Authentizität und radikale Tonlagen, wie sie sich bei Dostojewski finden, in einem Land, in dem diese europäischen Ideen nicht gelten.

Kenzaburō Ōe hatte ein erschütterndes Erlebnis. Die Geburt eines debilen Sohnes stellte ihn vor eine extreme persönliche Herausforderung. Er hat diese Erfahrung in seinem Roman "Eine persönliche Erfahrung" beschrieben. Den Nobelpreis erhielt er für sein Gesamtwerk, darunter ein Familienroman. Die Jury hatte, sagt Manfred Osten, wahrscheinlich diesen missglückten Roman im Sinn und nicht den genialen, aber radikalen Wurf "Eine persönliche Erfahrung". Es war der richtige Preis für den rechten Mann, sagt Manfred Osten, aber für das falsche Werk.