News & Stories vom 06.12.1993

Anti-Oper / Materialschlacht von 1914 / Flug über Sibirien

Gespräch mit Heiner Müller
Heiner Müller hat Japan besucht. Auf einem Kongress ging es dort um die Form der Oper an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.

Heiner Müller vertritt keine museale Erhaltung des Opernbetriebs, sondern eine Entzerrung der Oper, bei der er an die Traditionen des Bunraku-Theaters in Japan anknüpft. Sänger, Geräusche, Drama, Musik und Opernmaschinerie gehören entzerrt. Gemeinsam bilden sie kein Gesamtkunstwerk, wohl aber eine Fülle interessanter Ruinen. Zur gleichen Zeit inszeniert Heiner Müller das sog. Fatzer-Fragment von Bert Brecht. Dies ist einer der rätselhaften Texte, die Brecht schrieb und nie fertigstellte.

Es geht um den Erfahrungsgehalt der Materialschlachten von 1914, einen inneren Terrorismus in den Menschen, der für Deutschlands Schicksal im 20. Jahrhundert entscheidend ist: Der Krieg von 1914 bis 1918 ist bis heute weder verarbeitet noch begriffen.

Beim Hin- und Rückflug nach Japan überquerte Heiner Müller zweimal Sibirien. Dies lenkt seine Gedanken auf die Zeitreserve, die in den unendlichen Weiten dieses Kontinents steckt. Ein intensives Gespräch mit den genannten drei Schwerpunkten: Oper oder Anti-Oper? Inwiefern sind die Materialschlachten von 1914 eine Chiffre unseres Jahrhunderts? Wo in der Welt gibt es noch Leerstellen?