10 vor 11 vom 15.08.1994

"Ich schulde der Welt einen Toten."

Der Dramatiker Heiner Müller erarbeitete ein Opernlibretto für Pierre Boulez. Das Textbuch befasst sich mit dem Vermächtnis der Atriden (Agamemnon, Orest, Elektra, Klytämnestra usf.). Heiner Müller faszinierte dabei die Vorstellung der Balancen zwischen der Totenwelt und der Welt der Lebendigen. Weder ein Toter noch ein Lebender kann nach den Vorstellungen der Antike seinen Platz ohne den Willen der Götter wechseln. Heiner Müller ist in seinem Libretto der Auffassung, dass das Entschwinden der Götter diese festen Grundsätze, auf denen die Welt fußt, keineswegs ändert. Wer sich einen Platz im Leben ermogelt, obwohl er zum Tode bestimmt ist, muss dem Totenreich eine Schuld bezahlen.

Heiner Müller sieht hier die Wurzel des Dramatischen: "Ich schulde der Welt einen Toten".